Bericht: Frank Dickel

Namibia ist ein trockenes, raues, aber wunderschönes Land mit deutscher Kolonialgeschichte im südlichen Afrika. Namibia bietet nicht nur Wüste, Kameldornbäume und die „Big Five“ des Tierreiches, sondern auch seit 2005 ein besonderes Mountainbike-Rennen.

Da in Namibia Mountainbike-Sport keine Randsportart wie in Europa ist, trifft man im Dezember kaum Einheimische, die diesen Event nicht kennen. Während unseres 3-wöchigen Aufenthaltes erfuhr ich in den Gesprächen vor Ort, für mein Vorhaben, 373 km als Solo-Fahrer in 24 Stunden zurücklegen zu wollen, Begeisterung, aber auch unterschwelliges Mitleid und Erstaunen, dass ich zu den Verrückten gehören wollte, die sich das wirklich antun.

2020 12 DD 04 Frank

Nach außergewöhnlichen Regenfällen im letzten Jahr, zeigten die Wettervorhersagen, dass es im Jahr 2020 wieder ein fast normales Rennen werden würde, mit 37 Grad am Start bis in den Abend hinein, begleitet von starkem Gegenwind aus Richtung Westen, bis zu kühlen 11 Grad in den Nachtstunden. 

182 Solo-Fahrer/-innen aus Afrika und Europa sowie weiter 860 Teilnehmer aus Zweier- und Vierer-Teams rollten am Freitag, 11.12.2020, ab 14:30 Uhr aus der Tiefgarage eines Einkaufszentrums in Windhuk, um nach 1,5 km corona-konform unter einer Brücke unter Polizeibegleitung auf die Rennstrecke geschickt zu werden, die nach 6 Teilabschnitten (Stages) an der Westküste, am Strand von Swapokmund, ihr Ziel finden sollte.

Unter den 9 deutschen männlichen Teilnehmern befand sich auch ein Greenhorn der SKG Bauschheim-Radsportabteilung, zunächst ausgerüstet mit 2,5 Liter Wasser in einem Rucksack auf dem Rücken, vielen Power-Gels und Riegeln, Werkzeug und einer Jacke für Nacht.

Da bereits nach 32 km die Kupferkoppe hinauf mit über 600 Höhenmetern die erste Zeitnahme wartete, war ein verhaltener Rennbeginn nur bedingt möglich. Zwischenzeiten an den Kontrollpunkten 1, 4 und 5 entschieden, ob die Fahrer zur Weiterfahrt nach Swapokmund überhaupt zugelassen wurden. Nach 12 km Asphalt endete bereits die komfortable Strecke. Danach ging es nur noch über Sand, Schotter, ein Wellblechuntergrund, der keinen Moment der Entspannung mehr zulassen sollte, sondern höchste Konzentration und Kraftanstrengung erforderte.

Meine Vorbereitung war nicht gerade optimal. Niemals zuvor hatte ich eine ähnlich lange Strecke am Stück erprobt. Als Mitteleuropäer waren die klimatischen Bedingen doch äußerst ungewöhnlich. Eine Fuß-OP im Frühjahr und ein Oberschenkelhalsanbruch im Frühsommer hatten die Teilnahme zunächst in weite Ferne rücken lassen. Trotzdem wurde ich von dem Spirit getragen, etwas Außergewöhnliches leisten zu wollen, um ein Zeichen zu setzen, auch in dieser harten Zeit, durch Überzeugung und Willen viel erreichen zu können. Nachdem Namibia Mitte Oktober den Lockdown aufgehoben hatte und wieder Reisen aus dem Ausland zuließ, wollte ich diese Chance nutzen, auch im Bewusstsein, dass die Möglichkeit das Ziel in Swapokmund zu erreichen, nur äußerst gering war.

Daher hatte ich mein Vorhaben auch nicht zuvor publik gemacht, sondern nur einem engeren Kreis mitgeteilt.

Möglich war dieser Start überhaupt nur, weil meine Frau Conny mitzog und einen hervorragenden Support leistete. Sie wartete mit einem von uns gemieteten 4-Wheel-Drive-Camper am Kontrollpunkt 3 und 4, über 175 km von Windhuk entfernt, in der Namib-Wüste auf meine nächtlichen Zwischenankünfte. Wir hatten uns abgestimmt, dass sie bei Checkpoint 3 ca. 300 Meter entfernt von der Zeitnahme an einer Anhöhe parken sollte und eine Laterne auf das Fahrzeugdach stellt. Das war die einzige Chance, sie überhaupt unter den hunderten von Teamfahrzeugen ausfindig machen zu können und alles in der Hoffnung, dass ich es bis dorthin schaffen sollte. Eine Mobilfunkverbindung in der Wüste gab es nicht. Somit wäre die einzige Alternative bei einer Aufgabe oder Defekt gewesen, mich ggf. mit einem Besenfahrzeug nach Swapokmund befördern zu lassen.

Nach dem Start in Richtung Okahandja ordnete ich mich zunächst in einer Verfolgergruppe im ersten Drittel des Feldes ein. Eigentlich ein viel zu schneller Auftakt. Aber ich fühlte mich gut, die erste Nervosität wich und die vielen lautstarken und ausgeflippten Zuschauer an der Strecke puschten mich die ersten Anstiege hinauf. Der spätere Sieger Konny Looser aus der Schweiz, Radprofi eines spanischen MTB-Teams, preschte mit einer vierköpfigen Gruppe voraus. Eine besondere Rennatmosphäre, von der ein alter Radamateur nur träumen kann.  Gegenwind aus Westen blies mir entgegen, der mich die nächsten 180 km, teils sehr böig, begleiten sollte.

Der spätere Gewinner der Solo-Konkurrenz Konny Looser schrieb nach dem Rennen dazu:
Zum Glück kann man bei einem Menschen nicht immer sofort sehen, wie es hinter der Visage zu und her geht, denn heute musste ich so ziemlich sämtliche Register der „Pokerfaces“ ziehen, damit ich die 373 Km überstehen konnte! Wenigstens weiss ich jetzt, wie sich ein Schwergewichtsboxer in der 10ten Runde fühlen muss, denn genau so erging es mir nach 180 Km! Taumelnd und ziemlich angeknockt konnte mich gerade noch knapp im „Rennen“ halten bevor es mir gelang, mich in der Verlängerung durchzusetzen!

Obwohl ich zunächst flott unterwegs war und die ersten Hügel zügig meisterte, wurde mir bewusst, dass ich Lehrgeld zahlen werde. Mein Rucksack war zu schwer. Die meisten anderen Fahrer und Fahrerinnen hatten dieses Gewicht am Rad verteilt, insbesondere Flaschenhalter am Rahmen und hinter dem Sattel befestigt. Den ersten Stage bei 32 km meisterte ich mit 1:45 Stunden und war damit bereits 1:15 Stunden vor der Cut-Off-Time. Auch wenn die Strecke jetzt zunächst etwas flacher werden sollte, so wurde doch auch der Boden sandiger und tiefer. Der Gegenwind nahm zu. Ich suchte mir immer wieder Fahrer, an die ich mich anhängen konnte, um den Windschatten zu nutzen. Natürlich bedeutete dies auch, einige mal selbst Tempo machen zu müssen, um den Mitstreitern eine Verschnaufpause zu gönnen. Beim Aufstieg zum Uispass war ich dann alleine und spürte den Wind und die aufkommende Abendfrische eher mit Wohlwollen. Ich freute mich auf die bevorstehende längere Abfahrt. Die Warnungen des Veranstalters vor „Blind Corners“ wusste ich erst zu deuten, als die kurvige und steile Abfahrt begann. Die untergehende Sonne blendete mich so stark, dass ich trotz Sonnenbrille nur wenig sehen konnte. Dazu kamen extreme Staubverwirbelungen von passierten Fahrzeugen der Zweier- und Viererteams.

Die rasante Abfahrt über teils grobes Geröll mit über 60 km/h wurde damit zum Vakanzspiel. Die Schutzengel meinten es aber Gott sei Dank gut mit mir. Die Dunkelheit brach ein und ich musste mit der mitgeführten Beleuchtung aufrüsten, die mir dann über sehr welliges Geläuf und über zwei sehr steile Berge half. Gegen 20:15 Uhr erreichte ich Kontrollpunkt 2 nach 100 gefahrenen Kilometern und 1500 Höhenmetern.    

Der Kontrollpunkt war schlecht ausgeleuchtet, hatte aber einiges an Essen und Getränken zu bieten. Nach notwendigen Dehnübungen und mit vollem Tank begab ich mich dann auf den härtesten Abschnitt der Tour. Der Boden wurde sandiger, der Gegenwind nahm nochmals zu und es gab keine geraden Strecken mehr. Gefühlte 100 Mal runter und wieder hoch. Vor allem die steilen knackigen Anstiege waren kraftzehrend. Bei Kilometer 125 knallte ich mit einem Pedal gegen einen Stein, den ich zuvor im Dunkeln nicht gesehen hatte, konnte mich aber noch abfangen. Von hinten kamen mehr Fahrer aus den Zweier- und Vierteams, die mich überholten. Ich wechselte die Gruppen, mit denen ich fuhr. Wurde mir das Tempo zu schnell, wartete ich auf die nächste, um den Puls nicht zu hoch zu treiben. Die Rücken- und Gesäßschmerzen wurden stärker, insbesondere die Stiche im Genick waren zunehmend hart zu verkraften. Die Wasserstelle bei Km 140 war ein lohnendes Zwischenziel. Danach bildete ich mir ein, dass der Wind etwas schwächer wurde und konnte auch eine Achtergruppe, die an mich zuvor herangefahren war, wieder deutlich hinter mir lassen.                                              

Erste Glücksgefühle kamen wieder auf, nachdem ich die Lichter des Kontrollpunkts 3 beim Km 175 entdeckte. Um kurz vor 02:00 Uhr fuhr ich in die Zeitnahme. Ich überließ mein Bike einem Technikcheck, der mir nach Einfahrt angeboten wurde und begab mich auf die Suche nach unserem Camper. Nach Nahrungsaufnahme und Massage meines schmerzenden Rückens fokussierte ich  nach etwas mehr als einer halben Stunde später Stage 4. Zu meiner Überraschung begann dieser Abschnitt mit einer Laufpassage von über 400 Meter durch Tiefsand, der mit dem Bike nicht befahren werden konnte. Auch danach ging es über Sandpisten leicht bergauf. Einige andere Fahrer schien diese Herausforderung auch überrascht zu haben, die erschöpft am Streckenrand standen und nicht gerade glücklich wirkten. Bei Kilometer 200 wartete eine Wasserstelle mit gutgelaunten namibischen Ladys und motivierten die Fahrer für ihren weiteren Weg durch die Wüste. Im Scheinwerferlicht des Lenkers war jetzt weit und breit nur noch Sand zu sehen. Ich tat mir zunächst schwer, die richtige Spur zu finden, bis eine ortskundige Fahrerin an mir mit 30 km/h vorbeipreschte. Sie schien die Strecke blind zu kennen und wechselt ständig die Fahrspuren. Ich kämpfte mich wieder an sie heran und ließ mich mit einem weiteren Fahrer die nächsten 35 km ziehen. Es wurde langsam hell und das gleißende Licht ließ die sich abzeichnende Mondlandschaft unwirklich erscheinen. Diese Faszination ließ alle Qualen und heftigen Schmerzen im Rücken und Gesäß zunächst in den Hintergrund treten. Die Südafrikanerin beendete leider kurze Zeit später ihre herausragende Performance und bedauerte, dass sie kräftemäßig keine Führungsarbeit mehr leisten könne. Sie ließ mich leider ziehen und fiel zurück. Die Piste wurde wieder sehr ruppig und wellig. Es bedurfte wieder der erhöhten Konzentration, nicht die Kontrolle zu verlieren. In mentaler Vorbereitung, zeitnah bei Kontrollpunkt 4 zu sein, wo die nächste Zeitnahme wartete, bemerkte ich plötzlich, dass ich keinen Halt mehr auf meinem rechten Pedal hatte. Ich registrierte, dass sich mein Clead vom Radschuh gelöst hatte und im Pedal festhing.

Mit Mühe erreichte ich nach 250 km und 2900 Höhenmetern  um 06:30 Uhr den Kontrollpunkt 4, 2 Stunden noch von der „Cut-Off-Time“. Leider gab es dort aber keinen professionellen technischen Support. Auch hatte ich keine Ersatzschrauben, um das Cleat wieder am Schuh zu befestigen. Das Bemühen von Conny bei anderen Teambegleitern eine Schraube oder Ersatzschuh zu organisieren war leider nicht von Erfolg gekrönt. Da mir bewusst war, dass auf dem folgenden Streckenabschnitt Stage 5 längere technische Passagen auf die Fahrer wartete, die einen festen Halt erfordern, entschloss ich mich die Realität anzuerkennen und nach 16 Stunden Fahrtzeit, wie über 60 andere Solo-Fahrer zuvor auch schon, das Rennen vorzeitig zu beenden.

Mit unserm Fahrzeug führen wir dann den Rest der Strecke abseits der Radroute über komfortablen Asphalt zum Ziel in das mondäne Swapokmund, eine europäisch wirkende Kleinstadt mit vielen Kolonialbauten, einer wunderschönen Strandpromenade und deutschen Straßennamen aus der Zeit um 1900. Der „Platz am Meer“ war unter Einhaltungen von Abstandgebot und Maskenpflicht Sammelpunkt und Partymeile für alle Athleten, Begleiter und Zuschauer. Gelegenheit bei einem kühlen Windhoek-Lager, auch diejenigen wieder zu treffen, die das Schicksal teilten, das Rennen nicht beenden zu können, aber auch diejenigen zu bejubeln, die als Helden die Ziellinie überquerten und anschließend im Laufe des Tages unter tosendem Beifall das Siegerpodest erklommen. Konny Looser konnte zum sechsten Mal in einer Zeit von unglaublichen 14:45 Stunden das Rennen für sich entscheiden. Der Schweizer hatte 20 Minuten Vorsprung auf dem Zweitplatzierten Martin Freyer aus Namibia. Dahinter folgte Dusty Day (Südafrika), eineinhalb Stunden später (16:34).                 

Bester Deutscher wurde der Triathlon-Profi und mehrfache deutsche Meister Andreas Niedrig aus Erkenschwick auf Platz 10 (17:23). Niedrig, der auch für die deutschen Nationalmannschaft u.a. schon am Ironman Hawaii teilgenommen hat, gab nach seiner Einfahrt unmittelbar als „bester Neuling“ ein Interview im namibischen Fernsehen. Er berichtete, dass er an beiden Händen Blasen habe. Er habe sich zwischenzeitlich permanent übergeben müssen, es sei ihm richtig schlecht gegangen. Physisch wie psychisch sei es eine absolute Grenzerfahrung gewesen. Das Wichtigste sei für ihn, dass er mit seiner geringen Mountainbike-Erfahrung niemanden gefährdet habe.

Bei den Frauen setzte sich Iren Steyn durch. Mit 17:52 Stunden lag die Namibierin rund 20 Minuten vor der Südafrikanerin Genevive Weber (18:15). Dritte wurde Steyns Landsfrau, Wilmien Chamberlain (19:12).

Die Konkurrenzen der Zweier- und Viererteams entschieden ausschließlich Fahrerinnen und Fahrer aus Namibia und Südafrika für sich. Dabei stellte das namibische Profi-Bicycle-Team Hollard Life eine Fabelzeit von 13:43 Stunden auf.

Auch wenn mein Ausscheiden etwas unglücklich erschien, ich mit der Situation im Nachgang noch hadere, bin ich für das Erlebnis und die gemachten Erfahrungen, insbesondere auch in dieser schweren Zeit unendlich dankbar. Der Zuspruch und die Motivation aus der Heimat im Vorfeld hatten mir die Kraft und den Mut gegeben, entgegen meiner ursprünglichen Erwartungen, so weit gekommen zu sein.

Und wer weiß, sofern  Corona und die Gesundheit es zulässt, wird sich die Möglichkeit doch noch einmal eröffnen, bei einem der härtesten und längsten MTB-Rennen der Welt als Solo-Fahrer das Ziel zu erreichen. Wenn sich ein ambitioniertes Team finden sollte, ist nach dem Rennen bekanntlich vor dem Rennen!

Video: https://www.facebook.com/nedbankdesertdash/videos/4918697404871479/

Fotos: